Deborah Jack. water between us remembers, so we wear our history on our skin, long for a sea-bath and hope the salt will cure what ails us, 2016.

Deborah Jack (St. Martin), Das Wasser zwischen uns trägt unsere Erinnerung, also tragen wir unsere Geschichte auf unserer Haut, sehnen uns nach einem Meeresbad und hoffen, dass das Salz all unsere Leiden lindern wird

 

Liebe Freund*innen

Grüsse vom Schreibtisch des Tricontinental: Institute for Social Research.

Die Regierung der Vereinigten Staaten hat ihre Unterstützung für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurückgezogen, mit der Begründung, dass die WHO in Bezug auf das neuartige Coronavirus nicht entgegenkommend gewesen sei. US-Präsident Donald Trump stellte zudem die Unabhängigkeit der WHO von China in Frage und bezeichnete die Organisation als «Hampelmann Chinas». Diese Aussagen haben einen boshaften Unterton, insofern als Trump – entgegen allen Beweisen – weiterhin behauptet, die chinesische Regierung habe Ende 2019 Informationen über das Virus unterdrückt. In diesem kurzen Video beantwortet unser Team fünf Kernfragen zum Thema China und COVID-19:

 

Corona-Schock: Fünf Fragen zu COVID-19 und China (Englisch)

Der Angriff auf China und die WHO scheint darauf abzuzielen, von der Inkompetenz der Regierungen in Ländern wie den USA und Brasilien im Umgang mit dieser Krise abzulenken. In Brasilien hat Präsident Jair Bolsonaro jetzt die Veröffentlichung von Grunddaten über Infektionszahlen und Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus ausgesetzt; er hat ausserdem gedroht, die Verfassung auszusetzen, einen Selbstputsch einzuleiten und die totale Staatsmacht an sich zu reissen.

Jing Kewen (China), Dream 2008, N 1 (Nurses), 2008. larger

Jing Kewen (China), Dream 2008, No. 1 (Nurses) (Traum 2008, Nummer 1 (Krankenpfleger)), 2008.

 

Nachdem Trump die finanzielle Unterstützung für die WHO einstellte, betonte der Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres: «Jetzt ist der Moment für globalen Zusammenhalt im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie, nicht der Moment, um die Mittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu kürzen, die diese globalen Bemühungen leitet und koordiniert». Die ehemalige norwegische Premierministerin Gro Harlem Brundtland schloss sich dieser Meinung an und erklärte: «Das Letzte, was wir jetzt brauchen, ist ein Angriff auf die WHO» – die einzige Organisation, die «sowohl über die notwendige Erfahrung als auch über die Macht verfügt, den Überblick zu behalten und den Informationsaustausch sicherzustellen». Beide Stimmen stossen bei Trump auf taube Ohren.

Als ehemalige Chefin der WHO weiss Brundtland genau, wovon sie spricht. Sie war auch Ko-Vorsitzende des Global Preparedness Monitoring Board zusammen mit Elhadj As Sy, der Generalsekretär der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften. In ihrem im September 2019 veröffentlichten Bericht warnten sie davor, dass «die Welt nicht auf eine sich schnell ausbreitende Pandemie virulenter respiratorischer Erreger vorbereitet ist». Im selben Monat sagte Brundtland den Staats- und Regierungschefs bei einem hochrangigen UNO-Treffen zur universellen Gesundheitsversorgung, dass die Kürzung von Gesundheitsbudgets ein «riesiger Fehler» sei und öffentliche Mittel für die öffentliche Gesundheit dringend aufgestockt werden müssten. Diese Warnungen wurden nicht ernst genommen.

 

 

Diese Woche veröffentlichte das Tricontinental: Institute for Social Research das Dossier Nr. 29, Health is a Political Choice (Juni 2020), welches sich mit den von Brundtland und anderen geäusserten Warnungen befasst. Zur Vertiefung unseres Verständnisses der Gesundheitsfiaskos, die durch das Coronavirus in den vier Ländern ausgelöst wurde, in denen das Tricontinental: Institute for Social Research Büros hat (Argentinien, Brasilien, Indien und Südafrika), sprachen wir mit Mitarbeiter*innen des öffentlichen Gesundheitswesens und Gewerkschafter*innen. Sie führten uns vor Augen, wieviel das Gesundheitspersonal und die Volksbewegungen trotz minimaler staatlicher Unterstützung zum Kampf gegen dieses hoch ansteckende Virus beigetragen haben. Sie sprachen mit uns auch über ihre zahlreichen Forderungen an den Staat und an die Gesellschaft, um bessere Bedingungen für die Bekämpfung dieses und ähnlicher künftiger Viren zu schaffen. Auf der Grundlage dessen, was wir vom Gesundheitspersonal und deren Gewerkschaften und Organisationen gelernt haben, erarbeiteten wir einen sechzehn Punkte umfassenden Forderungskatalog. Diese Punkte sind hier aufgeführt:

  1. Umgehende Ausrichtung der Kapazitäten aller Gesundheitsdienste – sowohl der öffentlichen als auch der privaten – auf die Behandlung schwerer Fälle von COVID-19.
  2. Zusätzliche Unterstützung für Regionen und Gemeinden, die von der Pandemie besonders schwer betroffen sind.
  3. Durchsetzung von Massnahmen wie Isolierung, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen; Bereitstellung notwendiger Subventionen und Regelungen, die es Arbeiter*innen – einschliesslich informeller Arbeiter*innen – ermöglichen, die Quarantäne einzuhalten, ohne hungern zu müssen. Dies beinhaltet Mindesteinkommensprogramme, Sozialmiete, Arbeitslosenversicherungen (auch für Nichtbeitragszahler), und Ermöglichung der Nutzung von ungenutzten Grundstücken im Notfall, um Bedürftigen den nötigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
  4. Schutz der Arbeiter*innen durch Bereitstellung hochwertiger Schutzkleidung und Masken sowie anderer notwendiger Ausrüstung. Frontarbeiter*innen müssen im Umgang mit der Krankheit angemessen geschult werden.
  5. Gewährleistung eines amtlichen Gesundheitspersonalausweises für das an vorderster Front tätige Gesundheitspersonal, so dass dieses ihre wesentliche Arbeit frei von Sorgen um Geldstrafen, Gewalt oder andere vom Staat verhängte Strafen aufgrund von Isolations-, Ausgangsperre- oder Quarantäneverordnungen ausführen kann.
  6. Wesentliche Aufstockung der COVID-19-Tests für medizinisches Personal.
  7. Bessere Ausstattung von Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen, einschliesslich Beatmungsgeräten und Intensivstationsbetten.
  8. Anerkennung des Rechts der Arbeitnehmer*innen, ihre Arbeit einzustellen, wenn sie der Auffassung sind, dass die Arbeit eine unmittelbare Gefahr für ihre Gesundheit oder ihr Leben darstellt (Grundlage hierfür sind die Übereinkommen 155 und 187 der Internationalen Arbeitsorganisation).
  9. Sofortige Bereitstellung von Mitteln für die Schaffung von Ausbildungszentren für Gesundheitspersonal, sowohl für Ärzt*innen und Pflegepersonal als auch für Mitarbeiter*innen im öffentlichen Gesundheitswesen.
  10. Erhöhung der Gehälter von Gesundheitspersonal und deren regelmässige Auszahlung.
  11. Grosszügigste Kranken- und Lebensversicherungen für Gesundheitspersonal, welches das grösste Risiko trägt, an dieser Krankheit zu erkranken oder zu sterben. Alle Menschen sollten kostenlose und universelle Gesundheitsversorgung zugesichert bekommen.
  12. Die Einbeziehung der Gewerkschaften des Gesundheitspersonals in Ausschüsse, die die Strategien für den Gesundheitssektor im Allgemeinen und für den Umgang mit der COVID-19-Krise im Besonderen formulieren, sowie die Gewährleistung eines Mitspracherechts bei der Bestimmung solcher Strategien.
  13. Sofortige Bereitstellung umfangreicher Mittel für eine Aufstockung staatlicher Gesundheitsprogramme, auch für die grundlegende Gesundheitsversorgung, und eine Abkehr von der Sparpolitik.
  14. Verlagerung des gesamten Gesundheitssektors – von Krankenhäusern bis zu ländlichen Kliniken, von Herstellern medizinischer Geräte bis zu Pharmaherstellern – in den öffentlichen Sektor.
  15. Sofortige Bereitstellung angemessener Förderungsmittel für die Forschung im Zusammenhang mit diesem und ähnlichen Viren.
  16. Beibehaltung der während der Epidemie verabschiedeten Massnahmen auch nach ihrem Ende.

Wir hoffen, dass ihr diese Liste weiterverbreitet und dazu beitragen werdet, einen öffentlichen Konsens rund um diese Forderungen zu schaffen. «Systemrelevante Arbeiter*innen» zu feiern, ist eine Sache – eine andere ist es, die Systemrelevanz ihrer Forderungen einzugestehen.

 

 

Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens setzen sich für das Leben ein. Als bekannt wurde, dass die Infektionskette in Wuhan (Volksrepublik China) erfolgreich gebrochen worden war, filmte das chinesische Gesundheitspersonal – allesamt Mitglieder der Kommunistischen Partei – wie sie ihre Masken abnahmen. Die Botschaft des Videos ist unmissverständlich: Sie waren stolz auf die geleistete Arbeit, sie waren stolz darauf, die Infektionskette gebrochen zu haben, und sie freuten sich über den Triumph des Lebens über den Tod.

 

Der türkische Dichter Nâzim Hikmet schrieb ein eindrückliches Gedicht über dieses Beharren auf dem Leben, von welchem wir hier einen Teil wiedergeben:

 

Mit Leben ist nicht zu spassen;

du musst es ernst nehmen,

so fest und derart

dass du, zum Beispiel mit gefesselten Händen,

mit dem Rücken zur Wand,

oder auch in einem Labor

mit deinem weissen Kittel und deiner Schutzbrille

für Menschen sterben kannst –

sogar für Menschen, dessen Gesichter du nie sahst,

sogar wenn du weisst, dass Leben

die echteste, schönste Sache ist.

Ich meine, du sollst Leben so ernst nehmen,

dass du mit Siebzig zum Beispiel einen Olivenbaum pflanzt –

nicht für deine Kinder, sondern

weil du trotz deiner Angst vor dem Tod nicht an ihn glaubst,

weil Leben, meine ich, schwerer wiegt.

 

Weder mit dem Leben, noch mit dem Preis für das Überleben, ist zu spassen. Diesen Preis zahlen derzeit das Gesundheitspersonal und die Arbeiter*innen, die es unterstützen. Auch andere Schlüsselsektoren unserer Gesellschaften bezahlen ihn: von Landwirtschafts-, Fabrik- und Transportarbeiter*innen, die nicht zu Hause bleiben konnten; von Menschen, die Notfalleinrichtungen wie Kantinen für Menschen betreiben, die ohne sie nicht überlebt hätten; und von Familien, denen es nur begrenzt möglich ist, physische Distanz und andere von der WHO empfohlene Massnahmen einzuhalten.

 

 

Safwan Dahoul (Syria), Dream 172, 2018.

Safwan Dahoul (Syria), Dream 172 (Traum 172), 2018.

Leute wie Trump und Bolsonaro interessieren sich nicht für die Stimmen dieser Arbeiter*innen oder ihrer Gemeinschaften; sie sind damit beschäftigt, ihren eigenen Ruf zu retten, indem sie andere für ihre eigene Inkompetenz verantwortlich machen. Doch es ist die Ernsthaftigkeit dieser Arbeiter*innen, die unsere Gesellschaft zusammenhält; es ist an der Zeit, dass wir ihnen Platz machen, damit sie unseren Kurs bestimmen.

Tricontinental: Institute for Social Research führte in Zusammenarbeit mit der Internationalen Woche des antiimperialistischen Kampfes eine Reihe von Posterausstellungen zu den Schlagworten der Gegenwart (Kapitalismus, Neoliberalismus, Hybridkrieg und Imperialismus) durch. Die erste Ausstellung, die am 11. Juni eröffnete, beschäftigt sich mit dem Thema Kapitalismus. Siebenundsiebzig Künstler aus sechsundzwanzig Ländern und einundzwanzig Organisationen haben sich an der Ausstellung beteiligt. In dieser Serie erhält ihr nicht nur Einblicke in ein zerfallendes kapitalistisches System, sondern auch in das Flackern einer neuen Welt, die von den Bemühungen der Menschen der Welt heraufbeschworen wird.

 

Posterausstellung zur Internationalen Woche des antiimperialistischen Kampfes, Teil 1: Kapitalismus.

 

Herzlichst, Vijay.

 

Aus dem Englischen übersetzt von Claire Louise Blaser.